"Diversität sollte kein Trend, sondern die Norm sein."- Teil 1. Ein Text von Bianca Twagiramungu & Lisa Jureczko

 

„Diversität sollte kein Trend, sondern die Norm sein.“

TEIL 1


Zwei Jahre lang besuchte Bianca Twagiramungu die Kölner Schauspielschule Der Keller. Zwei Jahre, in denen sie ihre Leidenschaft für die Schauspielerei vertiefen und den Grundstein für ihren beruflichen Werdegang legen wollte. Stattdessen wurde der Traum zum Albtraum, denn rassistische Diskriminierung, Sexismus und emotionaler Missbrauch waren für die Schauspielschülerin Teil des Schulalltags.


von Bianca Twagiramungu & Lisa Jureczko



Biancas Diskriminierungserfahrungen zeigen deutlich, wie stark Rassismus, Sexismus, Exotismus und emotionaler Missbrauch miteinander verwoben sind. Ihre Erzählungen über die Zeit an der Schauspielschule Der Keller in Köln sind beispielhaft für die allgegenwärtigen patriarchalen, weißen Machtstrukturen in diesem Land, in der Medienszene, in der Kunst- und Kulturbranche. Sie sind auch beispielhaft dafür, dass diese Machtstrukturen von weißen Menschen sehr bewusst genutzt werden, um Hierarchien & Machtgefälle aufrecht zu erhalten.

Am 30. April 2020 ist Bianca mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen. In ihrem Text listet sie die Aussagen und Taten von insgesamt acht Dozent_innen der Schauspielschule auf und berichtet von der Exotisierung und Fetischisierung ihres Körpers, von regelmäßigen Kommentaren über ihre Haare, sie erzählt, dass sie als „Schwatte“ und als „exotisch“ bezeichnet wurde, und dass darauf beharrt wurde, das N-Wort im Rahmen einer Max & Moritz – Aufführung auszusprechen. Zugleich wurden ihre Einwände nicht ernst genommen und ins Lächerliche gezogen, eine Kommunikation auf Augenhöhe war laut Bianca trotz des engen Vertrauensverhältnisses zwischen Dozent_innen und Schüler_innen aufgrund der hierarchischen Strukturen nicht möglich. Die 2. Prüfung im 2. Jahr, im Sommer 2019, ließ man Bianca nicht bestehen – und das ohne Vorwarnung. Denn eigentlich hätte es im Falle einer Gefährdung der Versetzung in den sechs Monaten vor der Prüfung Gespräche zwischen den jeweiligen Dozent_innen oder der zugeordneten Vertrauenslehrerin und Bianca geben müssen.

Insbesondere im Laufe des vergangenen Jahrzehnts wurde die Verwendung des N-Wortes zunehmend medial kritisiert. Beispielhaft für die Theaterszene ist die im Jahr 2014 entfachte Debatte um das gleichnamige Stück von Jean Genet, das Johan Simons in Kooperation mit den Münchener Kammerspielen und dem Hamburger Schauspielhaus bei den Wiener Festwochen aufführte – inklusive Blackfacing und hauptsächlich weißem Ensemble. Wie wenig Verständnis und Empathie Johan Simons Schwarzen Menschen entgegenbrachte, die sich zurecht gegen eine solche Aufführung und Nutzung des rassistischen Begriffs einsetzten, zeigt vor allem seine resümierende Aussage, man (also Schwarze Menschen) müsste(n) „solche Dinge aushalten können, auch wenn es schmerzt." Bianca berichtet von einer ähnlich verständnis- und empathielosen Reaktion seitens einer Dozentin der Schauspielschule Der Keller. Als Bianca sich dagegen aussprach, eine rassistische Passage aus Max und Moritz unzensiert vorzutragen, wurde Biancas „Nein!“ schlicht und ergreifend nicht akzeptiert, ihre Wut und ihr Schmerz nicht ernst genommen. Stattdessen erfolgte eine subtile Täter-Opfer-Umkehr:


Als ich gesagt hab, ich bin dafür, dass wir das N-Wort im Max und Moritz Gedicht zensieren, hat Dozentin F. einfach „Nein“ gesagt. In diesem Moment war so viel Spannung im Raum. Du spürst, keiner traut sich was zu sagen, sonst geht alles an die Decke. Wie diese Dozentin in dem Moment kommunizierte, hat auf jeden Fall mir und dem weißen Schüler, der das Wort nicht aussprechen, sondern zensieren wollte, ein schlechtes Gefühl und ein schlechtes Gewissen gegeben. Das Verhalten dieser Person war auch sehr ambivalent. Einerseits hieß es: „Bianca, es ist wichtig, dass du deine Grenzen festlegst.“ – und dann sage ich ihr „Nein, ich möchte nicht, dass wir diesen rassistischen „Max und Moritz“ Text lesen!“ und sie beharrt dennoch darauf. Sie war auch sehr bestimmend. Nachdem sie gesagt hat, dass wir den Text vortragen, konnte man nichts mehr dagegen sagen. Keiner von uns. Das hatte nichts mehr mit der Seite zu tun, die sie im Einzelunterricht mit mir gezeigt hat. Menschen haben vielleicht verschiedene Facetten, aber so ein Verhalten ist einfach nicht in Ordnung.





Über ebendiesen tief verankerten Schmerz schrieb Grada Kilomba: 

„Schwarze Deutsche werden alltäglich mit dem N-Wort beschimpft. Es hinterlässt psychologische Narben, die Ängste und Albträume verursachen. (…) Denn das N-Wort ist kein neutrales Wort, es ist ein weißes Konzept. Es ist ein Begriff, welcher mit Brutalität, Verwundung und Schmerz einhergeht. (…) Wenn 'N.' gesagt wird, wird nicht nur über die (Haut-) Farbe 'Schwarz' gesprochen, sondern auch über: Animalität – Primitivität – Unwissenheit – Chaos – Faulheit – Schmutz. (…) Jene, die 'N.' rufen, wiederholen in diesem Moment eine Sicherstellung ihrer Macht als weiße HerrscherInnen.“ 


Dies gilt auch für den (vermeintlich) künstlerischen Kontext: wer auch 2020 noch darauf beharrt, einen kolonialrassistischen Begriff zu nutzen, degradiert Schwarze Menschen wissentlich. Nachdem die im Januar gegründete Initiative #NwortStoppen in Zusammenarbeit mit dem Integrationsrat in einem Antrag dazu aufgefordert hatte, erkannte zumindest der Kölner Stadtrat am 14. Mai 2020 das N-Wort und seine Verwendung endlich als rassistisch an.

Seit Jahrzehnten kämpfen Schwarze Schauspieler_innen in Deutschland für mehr Teilhabe sowie eine der eigenen Lebensrealität entsprechenden Darstellung in den Medien. Und dennoch: als sich Juniorprofessorin Franziska Bergmann 2016 mit Rassismus in der deutschen Theaterbranche befasste, zeigte die Mehrzahl der Schauspielhäuser kein heterogenes Ensemble, und auch in den Führungsebenen saßen hauptsächlich Weiße. Dass es an Sichtbarkeit Schwarzer Menschen in Theater (und TV) mangelt, ist fatal, denn „die Schauspieler_innen verleihen den Theatern ihr Gesicht – im Falle der deutschen Theater ist dies ein bislang augenscheinlich weißes Gesicht.“ 2013 kritisierte der Schauspieler Murali Perumal in einem offenen Brief an die Süddeutsche Zeitung, dass Theater in Deutschland nicht nur von Weißen“ sondern auch „für Weiße“ gemacht werde. Man wolle das weiße Publikum nicht irritieren mit nicht-weißen Schauspieler_innen in klassischen Rollen, die seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten von Weißen gespielt werden: „Am Schauspiel Köln ist das Multi-Kulti-Ensemble deswegen gescheitert, weil die Dramaturgen und deutschen Regisseure uns fast nur in Migrantenstücken als Ausländer besetzt haben, nicht jedoch als Deutsche, die wir im wirklichen Leben alle sind.“

Nachdem Bianca zwei Jahre lang viel Geld und Ambition in die Ausbildung investiert hatte, wurde ihr während des finalen Feedback-Gesprächs im Sommer 2019 vermittelt, dass sie als Schwarze Frau in der Branche keine Chance habe und nicht auf dem Arbeitsmarkt bestehen würde:


Mir wurde nach der letzten Prüfung im Sommer 2019 gesagt, dass es unverantwortlich wäre, mich weiter auszubilden, da ich als Schwarze Frau eh nicht davon leben könnte. Und das fällt denen auf, nachdem ich so viel Zeit und Geld in dieses Institut gesteckt hab.“



Mit weißen Schauspieler_innen, die Schwarze Rollen übernehmen, hat die deutsche Theaterbranche bisweilen kein großes Problem, wie die zahlreichen Blackfacing-Fälle an Opern und Theatern im deutschsprachigen Raum während der 2010er Jahre gezeigt haben. Das Deutsche Theater Berlin und das Schloßpark Theater verwiesen 2012 beispielsweise auf die „Kunstfreiheit“ und den vermeintlichen Mangel an Schwarzen Schauspieler_innen, die für entsprechende Rollen hätten gecastet werden können. Dabei herrscht kein Mangel an Schwarzen Schauspieler_innen, sondern viel eher ein Mangel an rassismuskritischem (und somit selbstkritischem) Handeln. Dies bedeutet für Schwarze Menschen und POC zugleich ein  mangelnder Zugang zu ökonomisch und beruflich relevanten Ressourcen.

Während im Bereich Film und Theater Schwarze Schauspieler_innen unterrepräsentiert sind, zeigen die Ausführungen Franziska Bergmanns, dass an einigen wenigen Häusern vermehrt Schwarze Menschen und POC im Sektor des Tanz- und Musiktheaters engagiert werden. Auch dies kann auf rassistische Klischees zurückgeführt werden. So komme es laut Bergmann beispielsweise deutlich häufiger vor, dass Schwarze Interpret_innen und POC Hauptrollen in Opern übernehmen, während ähnliche Rollen im Theater kaum an BIPOC vergeben werden. Thandi Sebe berichtete 2019 sie erhalte zahlreiche Angebote für Rollen als Tänzerin – dabei könne sie gar nicht tanzen. Über sog. „positiven“ Rassismus berichtet auch Bianca in ihren Schilderungen über die Zeit an der Kölner Schauspielschule:


Dozentin C. hat z.B. gesagt wie gut ich singen kann – aber es war klar, dass das auf Stereotypen basiert. Man fühlt sich in dem Moment geschmeichelt, aber im Grunde weiß ich jetzt, sie hat nicht meine Fähigkeiten gelobt, weil es meine Fähigkeiten sind, sondern weil sie denkt, ich kann das, weil ich Schwarz bin. Oft hatte ich auch das Gefühl, sie hat mich ausgesucht für Songs und mir Raum gegeben, so wie SIE es eben gerade möchte.


Auch mit anderen Klischees haben Schwarze Schauspieler_innen regelmäßig zu kämpfen: „Prostituierte, Putzfrau, Asylbewerberin“, das seien die Rollen, für die  Joana Adu-Gyamfi besonders häufig angefragt wurde. Bianca erzählt, dass auch während ihrer Ausbildung an der Schauspielschule regelmäßig rassistische Stereotypen reproduziert wurden, u.a. im Rahmen eines Feedback-Gesprächs, bei dem zahlreiche Dozent_innen anwesend waren:

Nach der 1. Prüfung im 2. Jahr, Anfang 2019, fiel die Bemerkung, dass ich doch in einen Gospelchor gehen sollte. Als Dozent Y. das gesagt hat, hat er sich auch entsprechend bewegt. Dieser Satz hatte einfach nichts mit der Szene zu tun, die ich Stunden vorher mit meinen Spielpartnern in der Prüfung gespielt habe, und an der wir lang gearbeitet haben. Ich wusste in dem Moment einfach: das ist Rassismus. Warum sagt man mir sowas? Wenn man findet, eine Schülerin sollte am Gesang arbeiten, kann man sagen „Weisst du, das wär gut für dich, wenn du in einen Chor gehst.“ Dann wäre das was anderes. In dem Fall war es aber eindeutig Rassismus. Ich hab auch gesehen, dass ein paar der Dozent_innen meine Reaktion in dem Moment beobachtet haben. Ein Dozent hat sich verschämt weggedreht. Es ist einfach eine Schande, dass in so einem Moment nichts gesagt wird. Ich hatte in dem Moment einfach das Gefühl, ich arbeite und arbeite und arbeite an diesem klassischen Text, und arbeite und arbeite – und dann wird mir gesagt, geh in einen Gospelchor?! Ich hab mich gefragt: Wofür bezahl ich denn mein Geld? Dafür brauch ich doch kein Feedback-Gespräch.“


Es verwundert also nicht, dass es immer noch als Erfolg angesehen wird – und eben nicht als Normalität – wenn Schwarze Menschen im deutschen Fernsehen Hauptrollen übernehmen, wie beispielsweise Florence Kasumba, die 2019 als erste Schwarze Kommissarin im Tatort zu sehen war. Doch auch dieser Erfolg hatte für viele einen negativen Beigeschmack, denn Kasumba erhielt die Hauptrolle erst, nachdem sie 2018 als Kriegerin Ayo im Oscar-nominierten Hollywood-Movie Black Panther auftrat. In vorherigen Tatort-Folgen spielte sie stets Nebenrollen. Dass Schwarze Schauspieler_innen nur selten in Hauptrollen zu sehen sind, liegt laut Perumal vor allem daran, dass Caster_innen oder Dramaturg_innen ihre Entscheidung auf die „Wahrnehmungsgewohnheiten des Publikums“ zu schieben versuchen: für eine Schwarze Person in einer Hauptrolle brauche man eben immer eine Erklärung. "You always have to explain why the flight attendant or the doctor is black -- they can't just happen to be black. On the other hand, you never need to explain why the asylum-seeker or prostitute is black.“, resümierte auch Philippa Ebéné im Jahr 2007. Dreizehn Jahre sind seitdem vergangen – und dennoch entspricht auch das Biancas Erfahrungen:


Dozent E. mit sehr viel Erfahrung im Casting-Bereich hat uns Schüler_innen erzählt, worauf man achten soll und wie man sich besser verkaufen kann. Er erzählte uns, dass eine Freundin von ihm, die Frau of Color ist, sich beschwerte, dass sie immer Klischee-behaftete Rollen spielen muss. Er habe ihr dann gesagt: „Naja, aber du bist doch eine Frau of Colour.“  Ich hab in dem Moment aufgehört, ihm zuzuhören, weil ich mir dachte: „Es kann doch nicht wahr sein, dass weißer Cis-Mann denkt, er wüsste, wie eine Frau of Color sich darüber zu fühlen hat, wie sie gecastet wird.“ ER könnte das ändern! Gerade Schwarze Schauspieler_innen werden immer und immer wieder für Klischee-behaftete Rollen gebucht. Oft fängt man mit solchen Rollen an, als Karriereeinstieg, und dann kann man sich hocharbeiten. Das ist bei weißen Schauspieler_innen halt nicht so. Das heißt nicht, dass diese keine Struggles haben, aber sie kommen schneller an die großen Rollen. Es gibt eben keine Gleichberechtigung in diesem Bereich. Dass wir alle die gleichen Chancen haben, ist Schwachsinn, darüber müssen wir gar nicht reden. Klar, was Diversity angeht, hat sich vieles geändert, aber da geht einfach noch viel mehr. Ich möchte nicht, dass sich Leute auf die Schulter klopfen, nur weil sie jetzt einen Tatort mit einer Schwarzen Schauspielerin gedreht oder geschaut haben. Ich finde Florence Kasumba toll, aber es kann noch viel mehr solcher Schauspieler_innen geben!“

Im Rahmen eines Seminars probte Bianca mit anderen Schüler_innen das Stück Reigen von Arthur Schnitzler. Ihr wurde die Rolle einer Dirne zugewiesen – und das obwohl Bianca einige Monate zuvor während eines selbstverfassten Monologs vor der Dozentenschaft ebensolche stereotypen Rollenzuweisungen kritisiert hatte:


In der Schauspielbranche spielt das Äußere nunmal eine Rolle. Im 1. Jahr haben wir ein Stück gespielt, in dem es u.a. um Sex ging. Dozentin W. hat in diesem Kurs oft kommentiert, wie sexy jemand ist und dass man das ja nutzen muss. Immer und immer wieder hat sie das gesagt. Das ist keine konstruktive Kritik, die einen weiterbringt. Mein Schauspiel-Partner und ich hatten also die 1. Szene des Stücks „Reigen“ bekommen und ich sollte eine Dirne spielen. Ich selbst hab nichts gegen Sex-Worker_innen, habe mich in der Situation mit der Rolle aber einfach nicht wohl gefühlt und wollte sie nicht spielen. Monate vorher hatten wir die Aufgabe erhalten, einen Monolog zu schreiben. In meinem Monolog ging es darum, wie ich als Schwarze Frau von Caster_innen gesehen werde. Ich habe also auch sexistische und rassistische Stereotype thematisiert. Als ich dann eine Dirne spielen sollte, hab ich gemerkt: mein Monolog kam überhaupt nicht an. Ich hatte sehr große Probleme diese Rolle zu spielen und habe mich nicht gut dabei gefühlt. Ich hatte in dem Moment das Gefühl, es liegt an meinen schauspielerischen Fähigkeiten und dass ich einfach nicht sexy spielen kann. Nach mehreren Einheiten, sagte meine Dozentin plötzlich: „Oh Bianca, ich erinnere mich an deinen Monolog. Du musst keine Prostituierte spielen. Möchtest du eine andere Rolle?“ Dann konnte ich zwar doch eine andere Rolle spielen, aber die Kommentare zu Körper, Sexualität, und wie das formuliert wurde, das war einfach nicht in Ordnung. Das heißt nicht, dass ich in Zukunft nicht vielleicht doch eine solche Rolle annehme, vielleicht möchte ich dann eine Stripperin spielen – aber dann eben, weil ICH es spielen WILL, wegen der Geschichte, wegen der Figur. In dem Moment war das eben nicht so.





2006 gründeten Carol Campbell und Philippa Ebéné aufgrund ebendieser Problematik die Arbeitsgemeinschaft Schwarze Filmschaffende in Deutschland  (SFD), und setzten sich dafür ein, dass die Rollenbesetzung nicht von Herkunft oder Hautfarbe einer Person abhängig gemacht werde. Ziel war eine "organische Normalität", auch um die Selbstwahrnehmung Schwarzer Menschen zu bestärken. Über die Schwierigkeiten und Hürden, die Schwarze Schauspieler_innen überwinden müssen, sprach Selam Tadese 2018 in einem Interview. Jahrelang habe er nach einer Schauspieleragentur gesucht, immer wieder wurde ihm abgesagt mit den Worten, er sei als Schwarzer Schauspieler „schwer zu vermarkten“. Während ihrer Ausbildung nahm auch Bianca an mehreren Castings teil, weil sie sich aus Eigeninitiative bewarb, und nicht – wie man meinen könnte – aufgrund des Netzwerks oder Supports der Schauspielschule:


„Ich wurde von der Schule zu gar keinem Casting geschickt, das wurde auch nie begründet. Weiße Schüler_innen wurden regelmäßig zu Castings geschickt, besonders die männlichen Schüler. Die zwei Castings während der Schulzeit hatte ich nur, weil ich mich selbst dort beworben habe. Ich hab mich auch vermehrt und sehr bewusst für Rollen beworben, wo nicht konkret nach einer Schwarzen Frau gesucht wurde. Ich dachte mir, ich möcht's wenigstens versuchen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass ich eingeladen werde oder die Rolle bekomme, gleich Null ist. Ich kann doch als Schwarze Frau auch eine Ärztin, Lehrerin,  Feuerwehrfrau oder Superheldin spielen. Ich denk mir immer: „Deutschland, du redest so viel über Diversity, but you are not practicing what you preach!” Gerade, was Schwarze Schauspieler_innen angeht. Es kann immer nur ein paar geben, so nach dem Motto “Okay, wir haben schon eine Schwarze Schauspielerin, Cut! Wir brauchen keine zweite oder dritte.” Das ist doch Schwachsinn, wenn es fünf Blondinen in einem Film geben kann, und alle haben verschiedene Charaktere, dann kann es genauso viele Schwarze Schauspieler_innen im Cast geben. Ich würd auch gern ein Mädchen spielen, das sarkastisch ist und Comics mag, aber so wird das nicht gesehen, weil „solche Menschen gibt es nicht“. Deshalb denke ich, dass das der Grund war, wieso ich nicht zu Castings geschickt wurde. Denn jemand, der so denkt, schickt keine Schwarzen Schüler_innen zu Castings, wenn eine Hauptrolle für Comedy gesucht wird“


Als Bianca eine Einladung zum Vorsprechen erhielt, bereitete sie den Dialog gemeinsam mit einem Dozenten der Schauspielschule vor. Dieser habe sich davon überrascht gezeigt, dass Bianca zu dem Casting eingeladen worden sei, und habe dies letztendlich nicht auf Biancas Talent, sondern auf Ansehen und Netzwerk der Schauspielschule zurückgeführt:

„Als Dozent E. erfahren hat, um welches TV-Format es geht, erwähnte er, dass auch andere Schüler_innen der Schauspielschule zu dem Casting eingeladen wurden. Es hieß dann: „Das zeigt ja auch, dass die Schülerrubrik auf der Internetseite der Schule hilfreich ist, sonst hätten die dich gar nicht gefunden.“ Er hat es immer so dargestellt, als hätte die Agentur mich 2019 nur wegen der Schauspielschule zum Casting eingeladen. Tatsache ist: ich hatte schon Jahre vorher Kontakt zu dieser Casting-Agentur. Es wurde innerhalb der Mail auch klar, dass die Agentur meine Daten noch im Archiv hatte, da die Frage gestellt wurde, ob ich noch in der selben Stadt lebe wie „damals“, als ich mich 2016 für eine Rolle beworben hatte. Auch dass ich in die engere Auswahl eingeladen wurde, hat er auf seine Kontakte zurückgeführt. Es ging ihm auch da gar nicht um mein Talent.“


Selam Tadese berichtete ebenfalls davon, dass vor allem Produzent_innen und Caster_innen ihn das existierende Abhängigkeitsverhältnis stets haben spüren lassen. Diese berufliche Abhängigkeit steht vor allem im Ausbildungskontext oftmals in Zusammenhang mit einer emotionalen Abhängigkeit. Von Machtmissbrauch und Grenzüberschreitungen an der Schauspielschule Der Keller berichtet auch Bianca:


„Ich möchte nicht für meine Mitschüler_innen sprechen, aber bei manchen Erzählungen hatte ich das Gefühl, das war Machtmissbrauch. Gerade in Schauspielschulen ist das Verhältnis zwischen Schüler_innen und Dozent_innen häufig so eng, das es oft schwierig ist zu sagen, ist dieses oder jenes Verhalten noch ok oder nicht? Jetzt weiss ich, wenn man sich die Frage stellt „ist das noch okay?“, dann ist es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht okay. Jeder von uns Schüler_innen hätte was gesagt, wenn wir all das im Privatleben gehört hätten, aber warum sagen wir dann nichts im Unterricht? Da stimmt was nicht, wenn wir, die Schüler_innen, nicht offen darüber reden können. Jeder der denkt, wir hätten was sagen können, hat nicht kapiert, dass es eine Hierarchie gab. Und vor allem, dass die Dozent_innen es eigentlich besser wissen sollten. Denn es war nicht deren erstes Jahr als Dozent_innen. Dozent X., der mich sehr offensichtlich rassistisch beleidigt und exotisiert hat, hat z.B. mehrfach meinen Nachnamen extra falsch ausgesprochen, obwohl wir uns geduzt haben. Immer wenn ich gesagt hab „Okay, jetzt hören wir auf damit, können wir jetzt mit dem Unterricht anfangen?“, hat er einfach nur laut gelacht, und sich über mich lustig gemacht.“


In Biancas Schilderungen treffen mehrfach und durch unterschiedliche Dozent_innen ausgeübte patriarchale Machtstrukturen, rassistische Ressentiments und psychische Gewalt aufeinander: denn was die ehemalige Schauspielschülerin beschreibt, ist nichts weiter als Manipulation, Gaslighting und Trauma Bonding. Die Aussagen von Dozent E. resultierten einzig in der Verunsicherung seines Gegenübers, dem Festigen der eigenen Machtposition sowie dem Verstärken der beruflichen Abhängigkeit Biancas. Denn wer seine Hilfe nur anbietet, um Bestätigung aus der erwiderten Dankbarkeit zu ziehen, handelt nicht aus Nächstenliebe oder Selbstlosigkeit. Wer, wie Dozent X., Menschen bewusst rassistisch beleidigt und erniedrigt, der handelt aus der tief sitzenden Überzeugung einer eigenen Überlegenheit heraus.

Welche Relevanz die Präsenz Schwarzer Schauspieler_innen und solcher of Color im Ensemble hat, zeigte sich für Perumal darin, dass Zuschauer_innen of Color sich nach seinen Vorstellungen bei ihm bedankten: „Sie seien vorher nie ins Theater gegangen. Sie hatten sich ausgegrenzt gefühlt und das hatte sich mit uns geändert.“ Dass sich (nicht nur) in der deutschen Theater-, Film- und Medienbranche einiges ändern muss, zeigen auch die jüngsten Entwicklungen: trotz Grimme-Preis-Nominierung setzte funk kürzlich das so wichtige Talkshow-Format KARAKAYA TALK ab, während Maischberger & Lanz in Talkrunden mit ausschließlich weißen Gästen über Rassismus und Polizeigewalt sprachen, und sich dabei unreflektiert rassistischer Sprache bedienten. Erst nachdem es Kritik hagelte, kamen von Rassismus Betroffene zu Wort. Bianca berichtet, dass auch seitens der Dozentenschaft der Schauspielschule Der Keller weitestgehend kein Interesse an einer offenen Kommunikation über den Rassismus, Sexismus und Missbrauch bestand:


Es waren nie wirkliche Gespräche, die meine Vertrauensdozentin und ich geführt haben. Ein Gespräch bedeutet für mich, ich sage was, du sagst was, wir führen eine Unterhaltung. In den Fällen hieß „Gespräch“ eher: ich sage was, und dann gibt’s 'nen Shutdown. Diese „Gespräche“ waren sehr kurz, und fanden nicht auf Augenhöhe statt. Nach der 1. Prüfung im 2. Jahr, in der Dozent Y. zu mir gesagt hat „Geh doch in einen Gospelchor.“, hatte ich auch wieder Unterricht bei Dozentin C., und sie sagte, sie könne nicht glauben, dass Dozent Y. das gesagt hat und sie habe „innerlich mit dem Kopf geschüttelt“ als diese Bemerkung fiel. Was bringt mir das? So ein Verhalten hilft mir nicht. Bei Dozent X., der mich rassistisch diskriminiert hat, lief es so: ich hab was gesagt und wurde belächelt. Dozentin C. hat mehr oder weniger gesagt: „Ja, der Typ ist so und das ist schade.“ Meine Geschichte war in dem Moment einfach total unwichtig. Es wurde mir einfach nie zugehört. Ich hätte es mir schon gewünscht, dass man darüber offen redet, und die Personen entsprechend konfrontiert werden, aber dazu kam es einfach nie.“


Erst nachdem Bianca an die Öffentlichkeit gegangen ist, hat die Schule ein klärendes Gespräch vorgeschlagen. Im Laufe eines Wochenendes sollen die Geschehnisse zudem mit Dozentenschaft und Schüler_innen via Zoom Meeting „aufgearbeitet“ worden sein. Inwiefern so tief verankerte Rassismen, Sexismen und Machtstrukturen an einem Wochenende aufgearbeitet und dekonstruiert werden können, sei dahingestellt. Das Gespräch mit dem Schulleiter, Dozentin F. sowie einer Vertreterin der Schülerschaft fand am 08. Juni im Beisein zweier Moderatorinnen, einer Schriftführerin und einer Vertrauensperson Biancas statt. Trotz der vermeintlichen Aufarbeitung der rassistischen Vorfälle wurden – in Anwesenheit von fünf Schwarzen Frauen – auch während dieses Gesprächs erneut rassistische Begriffe reproduziert, und der von Bianca geschilderte Rassismus konstant in Frage gestellt, erzählt die ehemalige Schauspielschülerin in einem auf Instagram geteilten Video. Zugleich hieß es seitens der anwesenden weißen Schülervertreterin, sie habe die Nutzung des N-Wortes als „nicht rassistisch aufgefasst“. Dass die Perspektive weißer, privilegierter Menschen kein Maßstab sein darf, um zu definieren, wo Rassismus beginnt, nur um Betroffene so zum Schweigen zu bringen, sollte nicht erst seit dem Mord an George Floyd und den weltweit entfachten Protesten klar sein. Biancas Forderungen an die Schule sind derweil klar: eine Rassismus-Klausel, regelmäßige Anti-Rassismus-Workshops für Schüler_innen & Dozent_innen, ein offizielles Statement der Schule auf allen Social Media Kanälen, sowie eine finanzielle Entschädigung für den entstandenen Schmerz und zwei vergeudete Jahre.

Am 15. Juni teilte die Schauspielschule Der Keller auf Instagram und Facebook ein Foto, das auf eine „Mittelung“ der Schauspielschule hinweist – ohne in der Caption auf die rassistischen Geschehnisse und den Missbrauch zu verweisen, ohne Entschuldigung an die ehemalige Schauspielschülerin. Folgt man dem beigefügten Link, gelangt man auf die Website der Schule und muss dort erneut auf einen Link klicken, um dann erst zu der Mitteilung in Form eines PDFs zu gelangen. Der Text ist ein Schlag ins Gesicht, nicht nur für Bianca, sondern jede von Rassismus, Diskriminierung und Missbrauch betroffene Person. Diese Mitteilung sowie die Art der Veröffentlichung zeigen deutlich, dass es der Schauspielschule nicht daran liegt, offen und ehrlich mit den eigenen Fehlern umzugehen, oder gar die Täter_innen zur Rechenschaft zu ziehen. Zentrales Thema der Mitteilung ist das Image der Schule, das gewahrt werden muss, nicht jedoch der verursachte Schmerz bei der Betroffenen. Mit der üblichen Floskel und Nonpology, man distanziere sich von Rassismus, positioniert man sich vermeintlich antirassistisch und speist Betroffene ab.  Eine kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Fehlverhalten wäre an dieser Stelle angebrachter gewesen. Die Schauspielschule stehe für „Gleichberechtigung, Diversität und Offenheit“, heißt es im Titel des Statements. Unter den 35 Schüler_innen findet sich nur eine Schwarze Person, unter den 27 genannten Dozent_innen nur ein Schwarzer Gast(!)-Dozent. Diversität sieht anders aus.

Im Statement der Schaupielschule heißt es, das Ziel sei Schüler_innen „darin zu unterstützen, sich zu eigenständigen, kraftvollen und mutigen Schauspieler*innen und Persönlichkeiten zu entwickeln“. Diesem Ziel wolle man „auch zukünftig in voller Verantwortung gerecht (...) werden“. Diese Formulierung impliziert, dass die Dozentenschaft schon immer rassismuskritisch agiert habe, und nun eben noch bewusster gegen Diskriminierung vorgehe. Das Statement suggeriert ebenso, dass kein Problem bestehe, niemals bestanden habe und nie bestehen werde. Zudem suggeriert es umso mehr, dass Awareness, Empathie und Gutmütigkeit vorherrschen. Biancas Schilderungen ihrer Erlebnisse an der Schauspielschule sowie der Umgang mit ihr nach der Ausbildung zeichnen ein anderes Bild. Man fragt sich zudem: Wie viel ist solch ein Statement wert, wenn die Realität einer Schwarzen Schülerin zwei ganze Jahre lang eine vollkommen andere war – und ihre Einwände nie ernst genommen wurden? Wie viel ist solch ein Statement wert, wenn es nur veröffentlicht wird, weil der Ruf der Schule bedroht ist?

Bebildert wird die Mitteilung auf der Website derweil mit einem Foto, das Beine und Füße von auf dem Boden liegenden Menschen zeigt. Wieso wählt man ein solches Foto für eine Mitteilung, die in Zusammenhang mit dem schulinternen Rassismus steht, der sich gegen eine Schwarze Frau gerichtet hat – nur drei Wochen nachdem die traumatisierenden Bilder des auf dem Boden liegenden, ermordeten Schwarzen Amerikaners George Floyd um die Welt gingen?

Als sich am 07. Juni knapp 5.000 Menschen auf dem Kölner Neumarkt versammelten, um gegen Anti-Schwarzen Rassismus zu demonstrieren, stand Bianca auf der Bühne und sprach über die Zeit an der Schauspielschule Der Keller. Es kostet Betroffene in einer Gesellschaft wie der unseren auch heutzutage noch sehr viel Kraft und Mut, öffentlich über Missbrauchs- und Rassismuserfahrungen zu sprechen, denn die Angst, Täter_innen anzuprangern, ist häufig selbst in der eigenen Community tief verankert. Auch Bianca wurde geraten, nicht über ihre Erlebnisse an der Schauspielschule zu sprechen, denn dann sei ihre Karriere vorbei. Doch welche Karriere soll vorbei sein, fragt sich Bianca, wenn Schwarzen Menschen schon so viele Steine in den Weg gelegt werden, bevor sie ihre Karriere überhaupt richtig starten können? 

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Credits:

Model: Bianca Twagiramungu (@biancatwagi)
Photos & text: Lisa Jureczko (@lisajureczko @artcorefeminist
Designer: Güray Gerçekçi (@guray_gercekci


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