"Diversität sollte kein Trend, sondern die Norm sein." Teil 2. Ein Text von Bianca Twagiramungu & Lisa Jureczko

 "Diversität sollte kein Trend, sondern die Norm sein."

TEIL 2

Rassistische und psychische Gewalt sind eng miteinander verknüpft. Die körperlichen und seelischen Folgen von Rassismus und Missbrauch ähneln sich daher weitestgehend. Wer die Gründe für Rassismus verstehen will, der muss sich nicht nur mit historischen Ereignissen und gesamtgesellschaftlichen Aspekten, sondern auch mit Narzissmus befassen.


von Bianca Twagiramungu & Lisa Jureczko






Im alltäglichen Sprachgebrauch wird Narzissmus fälschlicherweise hauptsächlich mit Selbstverliebtheit in Verbindung gebracht. Influencer_innen, Körperkult und das Streben nach möglichst vielen Follower_innen mögen vielleicht auf narzisstische Charakterzüge einer Person hinweisen – doch Narzissmus ist mehr als das. Narzissmus zeigt sich in einem Mangel an Empathie. Narzisst_innen handeln bewusst überheblich, herabwürdigend, rücksichtslos und manipulativ. Narzisstischer Missbrauch hat viele Formen – die alle tief verankert sind in unserer Gesellschaft. Denn Rassismus, Sexismus, Exotismus sowie andere Arten der Diskriminierung basieren auf Überheblichkeit und Herabwürdigung. Wer Rassismus und Sexismus erfährt, der erfährt zugleich psychische Gewalt.


Diese Gewalt hat gravierende Folgen für Betroffene, sowohl seelisch als auch körperlich: Depressionen & PTBS, Pseudodemenz, Schlafstörungen, extreme Gewichtszu- oder -abnahme, chronische Schmerzen (Fibromyalgie) bis hin zu Suizidgedanken und -versuchen. Betroffene von (Anti-Schwarzem) Rassismus und Sexismus, die alltäglich emotional missbraucht, verbal diskriminiert oder gar körperlich angegriffen werden, leiden aufgrund dessen überproportional häufig an Depressionen, PTBS und Angstzuständen. 2010 schrieb Astrid Velho über die Einstufung rassistischer Gewalt als Trauma und entsprechende Parallelen zu anderen Formen der Gewalt: „Diese gesellschaftlich legitimierten und individuell, institutionell, strukturell, medial (...) verübten Taten gelten zumeist nicht als Ungerechtigkeiten, Diskriminierungs- oder Gewaltakte, sondern als unhinterfragte Normalität, als natürlich bedingte Realitäten (...).“ 

Laut Velho könne man Analogien ziehen „zu der Definition des kumulativen Traumas (...): Kumulatives Trauma, als „eine Abfolge von traumatischen Ereignissen oder Umständen, die (...) in ihrer zeitlichen Abfolge und Häufung (...) die restitutiven Kräfte des Ich so sehr schwächen, dass insgesamt eine oft sogar schwertraumatische Verlaufsgestalt entsteht. Immer von neuem wird die ‚Erholungsphase’ unterbrochen. (…) Rassismuserfahrungen zeichnen sich durch ihre Permanenz, Vielgestaltigkeit und Widersprüchlichkeit aus. Die Erfahrungen können in ihrer Summe, auch wenn es nicht um offen gewaltvolle Erfahrungen geht, zu einer Belastung werden, die nicht mehr konstruktiv bewältigt werden kann. Erholung kann auf Grund der Permanenz und des sozialen Klimas, das die Gewaltförmigkeit nicht anerkennt, schwierig oder unmöglich sein. (…) Bryant-Davis/Ocampo ziehen in ihrer Studie Parallelen zwischen anerkannten Traumata, z. B. durch Vergewaltigung oder häusliche Gewalt und multiplen Formen rassistischer Übergriffe. Carter beschreibt, dass Rassismuserfahrungen als kritische Lebensereignisse wirken können und traumatischen Stress verursachen. (…) In diesem Zusammenhang sieht er auch die allgemein in der US-amerikanischen Forschung bei People of Color ermittelte überdurchschnittliche Häufigkeit von Symptomen, die mit denen der Posttraumatischen Belastungsstörung identisch sind.“


Sowohl von emotionalem Missbrauch als auch von Rassismus betroffene Menschen erhalten häufig Fehldiagnosen, denn aufgrund mangelnder Aufklärung und einem auf weiße Menschen ausgelegten patriarchalen Gesundheitssystem werden psychische und rassistische Gewalt sowie ihre Auswirkungen entweder nicht erkannt oder schlicht und ergreifend nicht ernst genommen. 2015 thematisierte Dileta Fernandes Sequeira diese Problematik:


„Es gibt wenig psychologisches oder psychotherapeutisches Verständnis in Deutschland davon, was es heißt, Rassismuserfahrungen ausgesetzt zu sein (…). Rassismuserfahrungen können durch weiße Psychologie nicht erfasst werden, da Basiskenntnisse fehlen und selbst Rassismus, ganz zu schweigen von seinen Nachwirkungen, geleugnet wird. Es gibt wenige Kenntnisse über die traumatisierende Wirkung von Rassismus in der deutschen Gesellschaft, die andere Gewaltformen sehr wohl studiert – solche, die sie ernst nimmt.“ 


Dies zeigt sich u.a. in der Pathologisierung von Betroffenen, die in Therapiesituationen mit Schuldzuweisungen und Gaslighting konfrontiert werden, so Araba Evelyn Johnston-Arthur. Auf (außen-) politischer Ebene kritisierte man schon vor zwölf Jahren, dass Rassismus und von ihm betroffene Menschen in Deutschland nicht ernst genommen werden. Modupe Laja schrieb darüber vor einem knappen Jahrzehnt: 


Die Europaratskommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI), der Antirassismus-Ausschuss der Vereinten Nationen (CERD) sowie der UN-Sonderberichterstatter gegen Rassismus im UN-Menschenrechtsrat, beanstanden in ihren seit 2008 veröffentlichten neuesten Deutschlandberichten das mangelnde Vorgehen des Staates gegen Rassismus. Sie beziehen sich dabei nicht nur auf den alltäglichen sondern ebenso institutionellen Rassismus im sozialen Umfeld, in der Arbeitswelt, im Erziehungswesen und in der Rechtsprechung (mangelnde Strafverfolgung von rassistischen Handlungen). Die Kommission legt nahe, den strafrechtlichen Rahmen auf „Hassdelikte“ auszuweiten. Der UN-Ausschuss findet die „Versäumnisse“ in der deutschen Politik und Gesellschaft sogar besorgniserregend.


Der Teufelskreis aus anhaltendem Missbrauch, zu wenigen adäquaten Anlaufstellen sowie gesellschaftlich etabliertem Victim Blaming resultiert für viele Betroffene derweil häufig in einem drastischen Nachlassen schulischer Leistungen, langjähriger Arbeitsunfähigkeit, einem Rückzug aus dem sozialen Umfeld sowie der Aufgabe einstiger Lebensträume und Interessen. Dieser Teufelskreis und seine Auswirkungen gehören zur Lebensrealität zahlreicher, junger, Schwarzer Menschen. Denn Schwarze Menschen und POC sind von Mehrfachdiskriminierung betroffen, und unsere Gesellschaft macht es ihnen umso schwerer, aus diesem Teufelskreis herauszubrechen. 


So erging es auch Bianca Twagiramungu, als sie 2019 mit den an der Schauspielschule gemachten Missbrauchs- und Rassismuserfahrungen an die Öffentlichkeit gehen wollte. Menschen aus der eigenen Community rieten ihr davon ab, die Geschehnisse öffentlich zu machen, ehemalige Freund_innen zeigten sich nicht solidarisch, und Journalist_innen reagierten mit Gleichgültigkeit und Desinteresse. Bianca besuchte von 2017 bis 2019 die Kölner Schauspielschule Der Keller. Die Ausbildung begann sie, um ihren Kindheitstraum zu verwirklichen:


Ich wollte Schauspielerin werden, weil mir im Alter von 9 Jahren bewusst wurde: in den deutschen Filmen und Serien, die ich so liebe, ist keiner, der so aussieht wie ich. Und wenn da mal jemand war, der so aussieht wie ich – dann war dieses Kind immer ein Problemkind oder konnte kein Deutsch.“


Doch für Bianca entwickelte sich dieser Kindheitstraum zum Albtraum, sie beschreibt den Schulalltag in zahlreichen Statements als durchzogen von Rassismus, Exotismus, Sexismus, psychischer Gewalt und Machtmissbrauch:


Ich muss sagen, dass Schauspiel nicht mehr meine größte Leidenschaft ist. Denn das, was die Schule mir im Laufe der zwei Jahre angetan hat, hat auf jeden Fall Einfluss darauf, wie ich zum Thema Schauspiel und Theater stehe, auch wegen Bemerkungen eines Mitarbeiters des Theaters Der Keller. Es gibt viele tolle Schauspieler_innen, die mir helfen und mich unterstützen, aber es gab auch einige Schauspieler_innen aus der Branche, die nicht so gehandelt haben, wie ich es erhofft habe. Das hat auch zusätzlich mein Bild von der deutschen Schauspiel- und Medienbranche gezeichnet.


Am 30. April 2020 sprach Bianca erstmalig öffentlich über ihren Alltag an der Schule,  darüber dass mehrere Dozent_innen sich abfällig, exotisierend und fetischisierend über Biancas Haare und ihren Körper äußerten, sie als „Schwatte“ bezeichneten und das N-Wort nutzten. Dozentin F. beharrte darauf, dieses auch im Rahmen einer Max & Moritz Aufführung zu nutzen, an der Bianca beteiligt war. Wehrte sich Bianca gegen die Diskriminierung, erhielt sie seitens der Dozentenschaft keinerlei Hilfe, höchstens leere Worte. (Teil 1) Aufgrund der Machtverhältnisse und Hierarchien war laut Bianca eine offene Kommunikation ohnehin nicht möglich. Im Sommer 2019 folgte der finale Rückschlag: die abgelegte Prüfung im 2. Jahr ließ man sie nicht bestehen, u.a. mit der Begründung, sie werde als Schwarze Frau von der Schauspielerei nicht leben können.


Will man rassistische Diskriminierung aus psychologischer Sicht verstehen, kommt man nicht umhin, sich mit Narzissmus und narzisstischem Missbrauch zu befassen. In einem Gespräch mit Deutschlandfunk wies die amerikanische Psychologin Dr. Ramani Durvasula erst kürzlich auf die Parallelen zwischen Narzissmus und Rassismus hin: 


Was sind die Kernelemente des Narzissmus? Mangel an Empathie, Arroganz, Egozentrik, Überlegenheitsgefühle, die Behauptung, man selbst sei Opfer. (…) Dazu kommt das Gefühl von ständiger Opposition und das Bedürfnis, den Status Quo zu erhalten; sehr eigennützig, nicht wahr? Und genau darauf beruht auch Rassismus: der völlige Mangel an Empathie für den anderen, es fehlt jegliches Bewusstsein für die Bedürfnisse anderer, es gibt nicht einmal den Versuch, sich in andere hineinzuversetzen. Narzissten haben die Arroganz zu sagen: Ich verdiene, was ich habe, aus was auch immer für Gründen mehr als du. (…) Das sind dieselben Gefühle von Überlegenheit und Opferrolle, sehr ähnliche Prinzipien, sehr ähnliche Persönlichkeitsstrukturen.


In ihrem Werk Don't You Know Who I Am? beschreibt sie zudem, woran man Narzissten im beruflichen Kontext erkennt: „Violation of the basic human rights of employees [and] disproportionate and very personal criticism (rather than constructive feedback).


Zwischenmenschliche Beziehungen mit Narzisst_innen, so auch im beruflichen oder schulischen Kontext, zeichnen sich durch einen sehr spezifischen Ablauf aus: zunächst glaubt man, es entstehe eine gesunde zwischenmenschliche Beziehung (grooming), basierend auf Zuspruch und Support. Zugleich wird die berufliche und nicht selten auch emotionale Abhängigkeit dadurch verstärkt. Betroffene vertrauen sich dem Gegenüber an, und legen immer mehr Wert auf die Meinung derjenigen, die hierarchisch gesehen eine Machtposition einnehmen. Sog. verdeckte Narzissten agieren von vornherein häufig unter dem Deckmantel der Empathie und nehmen nicht selten die Rolle eines Mentors oder Coachs ein. Für Betroffene ist dies besonders fatal, denn der vermeintliche Support dient dem narzisstischen Gegenüber höchstens als Quelle der Bestätigung und Anerkennung (narcissistic supply). Narzisst_innen handeln nicht aus Nächstenliebe, sie helfen nicht, weil sie gerne Gutes tun. Narzisst_innen spielen Hilfsbereitschaft vor, um für ihre vermeintliche Güte gelobt, als „Retter_in“ gefeiert zu werden oder Mitmenschen zu kontrollieren:


Toxic bosses are never going to mentor you or built up your career. They may throw you opportunities here and there, but that is largely because those opportunities do not matter to them and doing so allows them to keep you under their control (…). It can be easy to get tricked by the crumbs that toxic bosses throw but, like all narcissists, at their core, they are pretty immovable (…). Many people belive that their years of devotion to a toxic boss will be rewarded; more often than not, you will wind up going down with the ship and be forgotten once the boss moves on to greener pastures.“ (Dr. Ramani Durvasula, Don't You Know Who I Am?) 


Betroffenen wird zudem durch ebendiese Täter_innen das Gefühl vermittelt, sie seien nicht gut genug, um ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen oder nicht talentiert genug, um auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen. Zugleich werden Konkurrenzsituationen zwischen Betroffenen und Arbeitskolleg_innen bzw. Kommiliton_innen geschaffen (triangulation), die zu ungesunden Rivalitäten führen, Hierarchien begünstigen und Minderwertigkeitsgefühle fördern. Ähnliche Erfahrungen schildert auch Bianca. Während ihrer Ausbildung an der Schauspielschule Der Keller erwartete sie Support, doch dieser blieb laut Bianca aus: [Teil 1].


„Vielleicht werden manche Leser_innen sich fragen, wieso ich nicht einfach hingegangen bin und das angesprochen hab. Die Antwort ist: es geht einfach nicht. Es wäre ja schön, wenn das gehen würde, wenn das Verhältnis das zulässt. Klar möchte ich das, was mir zusteht. Aber ich wollte auch nicht betteln. Ich wollte nicht, dass die Dozent_innen mich zu Castings schicken, weil ich zehn Mal danach gefragt habe, sondern weil sie es wirklich wollen. Dozent E., der mir bei Vorbereitungen für ein Casting geholfen hat, hat sich in dem Moment als „saviour“ aufgespielt. In dem Gespräch mit dem Dozenten wurde mir klar: er versucht mir auch diese Dinge, die ich selbstständig erreicht habe, zu nehmen bzw. zu Unrecht seinen Stempel drauf zu setzen. Er hat meine Erfolge auf sich zurückgeführt – obwohl er überhaupt nichts dazu beigetragen hat. Auch wenn er drei Mal mit mir den Text durchgegangen ist, ist das alles immer noch meine Arbeit und mein Erfolg gewesen.“






Die geschilderte Situation ist beispielhaft dafür, dass Betroffene von Missbrauch im Schul- und Ausbildungskontext „in die paradoxe Situation [geraten], Hilfe (...) bei den sie traumatisierenden Personen suchen zu müssen. Konstellationen, in denen Menschen in großer Abhängigkeit von der den Rassismus und/oder andere Gewalt ausübenden Person stehen, können Gefühle von Hilf- und Schutzlosigkeit und tiefgreifende traumatische Erfahrungen begünstigen. (...) Den rassistischen Zuschreibungen sind auf Grund ihres Dualismus (von z. B. Exotisierung und Verachtung) ohnehin Doppelbödigkeit und Ambivalenz inhärent.“ (Astrid Velho)


Je stärker die Selbstzweifel werden, desto eher versuchen Betroffene, den Ansprüchen der Täter_innen zu genügen. Doch diesen Kampf können Betroffene nur verlieren, denn die Anforderungen narzisstischer Täter_innen werden sie kaum erfüllen können. Wie hart jemand an sich und seinen Zielen arbeitet, ist dabei irrelevant. Narzisstische Manipulation und rassistische Diskriminierung können dazu führen, dass Menschen sich selbst und ihre Ambitionen verlieren: 


Wenn diese Diskriminierung und Manipulation von Menschen ausgeht, die man vielleicht bewundert hat, Menschen, die dich unterrichten und eine Mentor-Figur für dich sind, dann lässt man sich davon einfach stark beeinflussen. Die Person, die sich davon beeinflussen lässt, hat auch keine Schuld daran, sie kann nichts dafür, aber es kann eben sehr schlimm enden. Und vielen dieser Personen, die „da oben“ sitzen, ist das sehr oft bewusst. Die wissen ganz genau, was sie tun. Gerade wenn es um ein Schüler-Lehrer-Verhältnis geht.“ (Bianca Twagiramungu)


Auch future faking spielt in diesen Situationen eine Rolle: in der Hoffnung, den nächsten großen Schritt auf der Karriereleiter machen zu können, vertraut man auf – letztendlich leere – Versprechungen. Bei kritisiertem Fehlverhalten wird derweil Besserung gelobt, und Betroffene werden mit vermeintlich ernst gemeinten Entschuldigungen abgespeist (breadcrumbing). Teil dieser zwischenmenschlichen Beziehungen ist die recht früh einsetzende mal mehr, mal weniger subtile Herabwürdigung der Betroffenen (im partnerschaftlichen Kontext spricht man von der sog. devaluation phase oder discard phase). Diese Abwertung muss nicht zwangsläufig offensichtlicher verbaler Natur sein, auch vermeintliche Witze oder beiläufige Kommentare der Narzisst_innen sorgen für Verunsicherung und Selbstzweifel. Christiane Sautter spricht von einem Missbrauch, der „versteckt und leise“ abläuft, und sich darin zeigt, dass Betroffene nicht ernst genommen werden. Durch den ständigen Wechsel aus positiven und negativen Extremen, wird ein starkes Abhängigkeitsverhältnis erschaffen (trauma bonding). Auch Bianca berichtet von solchen Dynamiken und der Ambivalenz zwischen vermeintlichem Support und wiederkehrender Abwertung:


Dozentin F. hat mich und meine Klasse dazu gezwungen, einen Max & Moritz–Text mit rassistischen Begriffen vorzulesen. Sie war auch die Person, die immer wieder Kommentare über meine Frisur gemacht hat. Diese Dozentin unterrichtet ein Fach, in dem man auch Einzelunterricht hat, etwa 30 bis 45 Minuten pro Woche. Je länger ich an der Schule war, desto enger war unser Verhältnis. Ich hab ihr sehr viel über mich erzählt, dadurch war es zu dem Zeitpunkt für mich mehr als eine Dozent-Schüler-Beziehung. Wir haben u.a. an einem Monolog zusammengearbeitet, der vorgetragen werden sollte. Es ging darum, dass ich mich klarer artikulieren soll, wie ich meine Stimme nutze, es ging um Präsenz und Körpersprache. In einer Stunde sagte sie: „Bianca, ich hab das Gefühl, du hast so vielen Menschen in deinem Leben nicht NEIN gesagt, deswegen machen wir das jetzt.“ Und dann haben wir diese Übung gemacht. Zu dem Zeitpunkt war das Verhältnis schon sehr eng und sie war in dem Moment auch sehr emotional. Im Laufe der Zeit haben sich ihre zwei Seiten gezeigt. Es war dadurch einfach umso schockierender, als sie mir diese Kommentare an den Kopf geworfen hat. Ich hatte auch den Eindruck, dass sie das Gefühl hat, sie darf das. So nach dem Motto: „Bianca, ich helfe dir dich so zu präsentieren. Du bist eigentlich ganz stark.“ Ich hab mich dann gefragt, ist das dieselbe Person? Einerseits hieß es: „Bianca, es ist wichtig, dass du deine Grenzen festlegst.“ – und dann sage ich ihr, ich möchte nicht, dass wir diesen rassistischen „Max & Moritz“ Text lesen, und sie beharrt dennoch darauf.“


Durch konstantes Gaslighting werden sowohl Selbstzweifel als auch das (berufliche) Abhängigkeitsverhältnis intensiviert. Gaslighting zeigt sich, indem degradierende Aussagen durch die Narzisst_innen selbst entweder herunterspielt oder gar geleugnet werden. Betroffene werden vor allem dann retraumatisiert, wenn auch Mitmenschen die abwertenden Aussagen verharmlosen, sich auf die Seite der Täter_innen stellen oder mit Gleichgültigkeit reagieren. Die Problematik liegt derweil nicht nur in rassistischen Äußerungen der Dozent_innen an sich und dem Ausnutzen der eigenen Machtposition, sondern auch in einem gravierenden Vertrauensbruch – denn Lehrende fungieren im Schüler-Lehrer-Verhältnis stets auch als Bezugspersonen. Bianca wandte sich einige Male an andere Dozent_innen der Schule, ohne Erfolg:


„Je mehr die Dozent_innen das Gefühl hatten, dass sie uns kennen, eben weil man so eng miteinander arbeitet und Erfahrungen miteinander teilt, desto eher glaubten sie, sie dürfen Grenzen überschreiten. Es wurde einfach ignoriert, was passiert ist, oder nicht ernst genommen, wenn ich etwas dazu gesagt habe. Dozentin C. z.B. ist eine Person, die einen sehr guten Draht zu allen Schülern hat, ein bisschen wie eine Art „Mutter“. Es gab eine Situation, nach einer Unterrichtsstunde, in der ich sehr verärgert war. Danach hatte ich Unterricht bei ihr. Als ich zu ihr gegangen bin, hat sie mich gefragt was los ist, und dass sie mich so nicht kenne. Ich hab ihr erzählt, dass einer der Dozenten immer Witze macht, sagt wie exotisch ich sei. Ihre Antwort darauf war: „Ja, der ist so und das ist echt nicht in Ordnung.“ und dann plötzlich erzählte sie mir von einer Schwarzen Kollegin aus ihrem Umfeld und mit welchen Problemen diese sich rumschlagen muss. Sie hat ihre Hand auf meine Schulter gelegt und gesagt „Bianca, du bist so talentiert.“ Sie hat sich als Helferin ausgegeben, aber wirklich etwas getan hat sie nicht. Sie hat mir das Gefühl gegeben, ich sei bei ihr in Sicherheit, aber das war nicht der Fall. Sie ist ein Exempel für die Leute, bei denen all das schwer zu durchschauen ist, weil sie eigentlich zu jedem vermeintlich nett sind. Auch sie war damals nett zu mir. Irgendwann hab ich gemerkt, dass das alles nicht authentisch ist.“


Aufgrund dieser Ambivalenz zwischen der Realität eines strukturell existenten Rassismus' und der Idealvorstellung von empathischen, wohlwollenden und gerechten Lehrpersonen entsteht ein sog. Doublebind, „ein Kommunikationsmuster, in dem von einem Sender zwei widersprüchliche Botschaften ausgehen.“ (Sami Omar) Laut Dileta Fernandes Sequeira ist diese Art des Doublebinds tief verankert im deutschen Schulsystem: 


Das Herausstreichen [des] Andersseins wird unter Umständen auf einer netten oder humorvollen Ebene betrieben. Die Gesellschaft besitzt die Fähigkeit, in einer eigentlich beunruhigenden Situation so zu tun, als würde Rassismus nicht existieren, und verharmlost sie damit. So wird der Mythos der rassismusfreien Gesellschaft in Deutschland fortgesetzt. (...) Der Weiße weiß, dass es reicht, ein Weißer zu sein, um die Macht des „Besser-Seins“ gegenüber MMMs/Schwarzen/POCs zu haben. (...) Seine Identität beinhaltet aber auch „Nettsein“. Die Heuchelei, einerseits die nette Aufnahmegesellschaft zu markieren und andererseits MMMs/Schwarzen/POCs in einer gemeinen Art abzuwerten, ist schwerwiegend. (…) Es wird einem MMM/Schwarzen/POC nicht ermöglicht, einen Alltag zu erleben, in dem er von Othering, Diskriminierung, Doublebinds oder Rassismus verschont bleibt. (…) Die Wirksamkeit eines Doublebinds besteht in der Häufigkeit dieser Situationen, darin, dass diese Personen, die solche paradoxen Botschaften senden, wichtig oder notwendig sind, dass sie Macht / Autorität über andere haben und dass es für die Empfänger der Botschaften kein Entkommen gibt, weder in Form von Flucht oder Kampf noch in Form einer Metaebene. Auch Lehrer üben als Menschen in Autoritätspositionen diese Verletzungen der Menschenwürde in Form von rassistischer Gewalt aus.“ 


Seitens der Schülerschaft sei ihr ebenfalls wenig Anteilnahme und Solidarität entgegengebracht worden, erzählt Bianca, zu hoch wäre das Risiko negativer Konsequenzen gewesen:


An dem Tag, an dem das mit dem Max & Moritz Vers passiert ist, sollten wir als Klasse abends gemeinsam trinken gehen. Sonst wäre ich immer mit dabei gewesen, aber danach war mir klar: „Ich möchte nie wieder privat etwas mit denen zu tun haben.“ Davor waren wir so eng, aber ich hab keine Lust darauf, einen auf Friede, Freude, Eierkuchen zu machen. Sie tun noch nicht mal so, sondern es IST ja so für sie, weil in deren Augen nichts schlimmes passiert ist. Ab dem Zeitpunkt, also im Laufe des 2. Jahres, habe ich mich von dieser Gruppe distanziert, was in manchen Bereichen geklappt hat, in manchen nicht, weil zwei der Schüler_innen gute Freunde waren, und ich denen irgendwie noch eine Chance geben wollte. Das war auch okay, ich hab da nichts falsch gemacht. Einem Schüler ist das aufgefallen, er hat mich gefragt, was los sei. Das Resultat waren auch nur leere Worte. Diese Menschen denken, dass sie fortschrittlich handeln. Aber dem ist nicht so. Sie gehen eben nur bis zu einem gewissen Grad, wo ihre eigenen Privilegien nicht bedroht werden. Und das ist nicht okay. Wenn du dir das aussuchen kannst, dann stimmt was nicht. Als ich nicht mehr in der Schule war, im Herbst, habe ich mich auch nochmal mit dieser Person getroffen und erzählt, wie ich das mit dem Max & Moritz Vers damals fand. Er hat auch alles eingesehen, hat gesagt, man hätte in der Klasse darüber sprechen sollen. Er sagte auch, dass er mir gerne helfen würde, aber er wüsste nicht, ob das so gut ist – weil es eben negative Auswirkungen für ihn hätte haben können.“





Laut Dr. Ramani Durvasula sind der Erhalt solcher Machtstrukturen sowie der Machtmissbrauch selbst v.a. durch „enablers and yes-men“ möglich: „Some of these hangers-on are hoping for a big payout, or for the crumbs and perceived power they experience by being in proximity to a toxic leader. Some just get „grandiosity by proxy“ by being close to a powerful person.“ Narzisstische Manipulation betrifft also auch Menschen aus dem Umfeld des Opfers. Es wird Misstrauen erzeugt und das schon bestehende Machtgefälle weiter verstärkt. Dies resultiert häufig in einer ungewollten Ausgrenzung oder einem bewussten Rückzug der Betroffenen (isolation). Durch gezieltes Gaslighting gelingt es Täter_innen außerdem, bei Betroffenen enorme Schuldgefühle zu erzeugen. Ähnlich erging es Bianca, als sie vergeblich darum bat, das Max & Moritz Gedicht an entsprechender Stelle zu zensieren.  (Teil 1)

Insbesondere Schwarze Frauen und WOC riskieren es, in solchen Situationen mit weiteren kolonialrassistischen Stereotypen konfrontiert zu werden. Eine zentrale Rolle nimmt hier das Bild der sog. „Angry Black Woman“ ein. Durch dieses Stereotyp wird gerechtfertigte Wut in Situationen der Benachteiligung herabgewürdigt, denn es karikiert Schwarze Frauen*, die gegen Unrechtmäßigkeiten aufbegehren, als hysterisch und aggressiv. Vielen Betroffenen wird erst lange Zeit später bewusst, was tatsächlich passiert ist, insbesondere, wenn die Diskriminierung und der Missbrauch auf eine subtile Art und Weise stattfanden, und sich über Monate oder gar Jahre erstreckten. Auch Bianca hat viele der Grenzüberschreitungen erst im Nachhinein als solche erkannt:


Manchmal sind Stunden, Tage oder Wochen vergangen, bis mir klar wurde, was da gesagt wurde, besonders in Bezug auf Momente, in denen Kommentare beiläufig gefallen sind, oder im Vorbeigehen, und es so schnell ging, dass ich zunächst gar nicht realisiert habe, was passiert ist. Es gibt immer noch solche Momente, z.B. wenn ich etwas unternehme oder auf Social Media lese, was bestimmte Erlebnisse triggert, und mir dann klar wird: das war Missbrauch oder das war Rassismus. Ich hab auch gelernt, nicht mehr in Frage zu stellen, ob das wirklich so war. Ich weiß, es ist passiert und es war nicht in Ordnung.


Konfliktsituationen mit Narzisst_innen resultieren nicht selten in ermüdenden Diskussionen, die Betroffene verunsichert und desorientiert hinterlassen. Dies liegt insbesondere daran, dass Aussagen narzisstischer Täter_innen oft unkonkret, vage und widersprüchlich sind – und somit viel zu viel Spielraum für Interpretation lassen (word salad). Insbesondere während der Feedback-Gespräche nach den Prüfungen fand sich Bianca in Situationen wieder, die alles andere als bestärkend, viel eher destruktiv, demütigend und entmutigend waren:


Ich habe mich nach keinem einzigen Feedback-Gespräch empowered gefühlt. Es war immer so, als würdest du in einen Raum gehen, und nicht wissen, wie viele Tennisbälle dich treffen werden. Ich war nach diesen Gesprächen verwirrt, und auch sehr wütend. Bei der 1. Prüfung im 2. Jahr wurde mir von Dozentin W. gesagt, dass sie wünschte, „ich würde mich finden“. Problematisch war nicht nur, was sie gesagt hat, sondern auch die Art, wie sie es gesagt hat. Es war vermeintlich wohlwollend: „Wir wünschten uns sehr, Bianca, dass du dich findest.“ Was so viel heißt wie: „Wir wissen zwar nicht wie, aber wir wünschen es uns.“ Sie hat es so gesagt, als müsste ich mich schlecht fühlen, und ich mich gefragt hab: „Okay, was ist denn jetzt mit mir?“ Was mich sehr aufgeregt hat, war, dass es keine Kritik an Bianca als Schauspielerin war, sondern Kritik an Bianca als Mensch. Dieser Kommentar war einfach überhaupt nicht konstruktiv. Natürlich geht man in gewisser Weise an die Uni, um sich zu finden, aber ich war nicht verloren, und in meinem Fall war es so, dass ich realisiert hab: die Dozent_innen haben ein bestimmtes Bild von mir und ich soll das erfüllen. Leute, die einem sagen: „In dem Bereich, in dem du arbeiten möchtest, hast du keine Zukunft“, obwohl man arbeitet und arbeitet, die sollten sich bewusst sein, was sie da tun. Vor allem für diejenigen, die vielleicht kein großes Selbstbewusstsein haben, kann das sehr schlimme Folgen haben. Ich will, dass die Leser_innen dieses Textes wissen, wenn dein Chef oder eine andere Person, die beruflich „über dir steht“ sagt, du sollst dich finden, oder „du hast noch nicht deinen Stil gefunden“, aber keine konkreten Hinweise geben kann, was man verändern könnte, dann stimmt was nicht. Dann verlieren diese Worte für mich auch an Glaubwürdigkeit.“


Die geschilderten Situationen sind beispielhaft für Doublebinds im Berufs- und Ausbildungskontext, da zwischen der Inhaltsebene (ein verunsicherndes „Du musst dich finden“) und der weiteren Kommunikationsebene (ein vermeintliches Wohlwollen, Empathie oder Mitleid) ein Widerspruch besteht. Narzisst_innen erschaffen solcherlei ambivalente Situationen häufig, um die Abwertung der Betroffenen als etwas Positives darzustellen (frei nach dem Motto, die Degradierung diene als Herausforderung). Dies führt zugleich dazu, dass Betroffene ihr berechtigtes Misstrauen in Frage stellen. Davon berichtet auch Bianca:

„Viele Schauspielschulen haben immer noch die Devise: „Wir müssen die Person ganz klein machen, um sie dann wieder aufbauen zu können.“ Am Tag nach dem 1. Feedback-Gespräch Anfang 2019 (als die Bemerkung fiel, ich solle in einen Gospelchor), waren die Prüfungen des nächsten Jahrgangs. Manche Dozent_innen kamen auf mich zu und haben gefragt, wie es mir geht. Es ist nicht okay, dass dann wieder so getan wird, als gäbe es eine gesunde Vertrauensbasis. Es ging in dem Moment darum, den Dozent_innen am nächsten Morgen wieder das Gefühl zu geben, es sei nicht so schlimm, was gesagt wurde.“


Psychische Gewalt – und somit auch rassistische und sexistische Gewalt – stehen immerzu in Zusammenhang mit dem Ausüben von Kontrolle und Macht. Wer versucht, Konflikte mit Narzisst_innen zu klären, muss nicht nur mit Gaslighting rechnen, sondern auch mit anderen manipulativen Taktiken, beispielsweise cliff-hanging oder stonewalling. Durch das abrupte Ende ihrer Ausbildung, verstärkte sich auch Biancas Gefühl von Machtlosigkeit:


Ich finde es schrecklich, dass die Diskriminierung und der Missbrauch nur deswegen ein Ende genommen haben, weil die Schule mich im Grunde genommen raus geworfen hat. Ich finde es schrecklich, dass ich nichts sagen und nichts dagegen tun konnte, und dass die Schule dann alles beendet hat, und vor allem, wie sie es beendet haben. Die ganzen Jahre an der Schauspielschule wurden letztendlich gar nicht anerkannt, weil ich einfach keinen Abschluss hab.“


Der Umgang mit Betroffenen und Überlebenden von Rassismus und Missbrauch zeigt, wie präsent Manipulation auch im beruflichen und medialen Kontext ist. Biancas Erfahrungen sind kein Einzelfall. Die Art und Weise, wie die Schauspielschule Der Keller mit den Geschehnissen umgeht, ist ebenfalls keine Ausnahme. Rassismus und Narzissmus durchziehen unsere Gesellschaft, und es erfordert Mut der Betroffenen und Selbstreflexion der Täter_innen, um diese Strukturen zu durchbrechen:


Rassismus anerkennen heißt, Rassismus in der Mehrheitsgesellschaft und in sich selbst erkennen. Dies anzuerkennen würde bedeuten, die koloniale Basis für die Entstehung der falschen weißen Überlegenheit und des damit verbundenen Privilegs sowie die Legitimation für die globale Aufwertungen des Weißen zu durchschauen. Es würde bedeuten, einen Teil des eigenen in Rassismus verstrickten Seins zuzugeben und den damit verbundenen Schmerz zu fühlen. Das Erkennen legitimierter Verletzungen der Menschenwürde, die durch Strukturen und Personen ausgeübt werden, fordert eine Empathiefähigkeit, die in der weißen Sozialisation ausgeblendet wird.“ (Dileta Fernandes Sequeira)

Klicke hier für Teil 1 



Credits
Model: Bianca Twagiramungu (@biancatwagi)
Photos & text: Lisa Jureczko (@lisajureczko @artcorefeminist
Designer: Güray Gerçekçi (@guray_gercekci 

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